8. März 2018
Ostern ist das höchste Fest der Christenheit.
Aber Ostern ist ohne den Karfreitag, an dem Jesus gekreuzigt wurde, überhaupt nicht denkbar. Es gäbe dieses Fest nicht, ja, es gäbe die Christenheit nicht.
Frühlingsfest
Na, wäre das denn so schlimm, werden vielleicht einige sagen. Ostern war auch schon vor den christlichen Feiertagen da. Es war ein Frühlingsfest, das nach dem ersten Frühlingsvollmond gefeiert wurde. Das stimmt, und einige heidnische Bräuche haben sich ja bis heute erhalten. So etwa in der Schmückung der Osterbrunnen im Schwarzwald. Die vielen bunten Ostereier dort stehen für Fruchtbarkeit, die bunten Bänder sind Ausdruck der Freude über den Frühling und auch der Osterhase, der nicht fehlen darf, symbolisiert ja Fruchtbarkeit. Es hatten sich bei der Verbreitung des Christentums in Europa heidnische und christliche Bräuche vermischt. Mit zunehmender Dominanz des Christentums jedoch wurden die heidnischen Bräuche immer stärker zurückgedrängt und die Menschen, die ihnen anhingen, verfolgt. Dadurch - und durch den Einzug der Moderne natürlich - sind viele Elemente und Bräuche, die in den Naturreligionen vorhanden waren, verloren gegangen und werden zum Teil erst heute wieder entdeckt, zur Darstellung gebracht und gelebt.
Christliches Ostern und jüdisches Pessach
Das christliche Ostern hatte und hat nicht nur Bezüge zu den Naturreligionen. Es sind besonders das jüdische Pessach und das christliche Ostern aufeinander bezogen. Der Karfreitag, an dem Jesus gekreuzigt wurde, war bei den Juden der Pessachvorabend, so steht es im Johannesevangelium; dem vierten, jüngsten und so ganz anderen Evangelium der insgesamt vier kanonischen Evangelien des Neuen Testaments. Das Johannesevangelium ist mehr als die anderen drei Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) zentral für den christlichen Glauben. Und von den frühesten Quellen, die über christliche Osterfeiern berichten, bis heute folgen diese christlichen Osterfeiern der Verkündigung der Passion nach dem Johannesevangelium. (Joh 18,1-19,42).
Pessach und Karfreitag in diesem Jahr
Freitag, den 30. März 2018 bei Sonnenuntergang beginnt Pessach. Das ist dieses Jahr im jüdischen Kalender der 14. Tag des Monats Nisan im Jahre 5778 nach Erschaffung der Welt. Es ist der Vorabend zum Pessachfest, auch Erev Pessach genannt. Freitag der 30. März 2018 ist zugleich der Karfreitag vor Ostern, jener Tag, an dem Jesus gekreuzigt wurde; ganz so, wie es auch im Johannesevangelium steht.
Karfreitag ist der höchste Feiertag für die evangelischen Christen in der Welt. - Hierin unterscheiden sich katholische und evangelische Christen: Während Karfreitag für die evangelischen Christen tatsächlich der höchste Feiertag im Kirchenjahr ist (oder zumindest bisher immer war; neuerdings ändert sich da was), ist es für die Katholiken zwar kein gewöhnlicher Tag, jedoch keinesfalls der höchste Feiertag, sondern ein Trauertag, was in den katholischen Kirchen dann auch konkret durch Verhüllung des Kruzifixes über dem Tabernakel und Verlegung des Ewigen Lichtes auf einen Seitenaltar zum Ausdruck kommt. Der höchste Feiertag des Kirchenjahres für die Katholiken ist der Ostersonntag. (Manchmal hört oder liest man auch, Ostersonntag ist für sie das älteste und bedeutendste Fest im Kirchenjahr. Das höchste Fest sei Fronleichnam. Aber das sei hier nur nebenbei noch ausgeführt.) Erwähnt werden sollen jedoch auch noch die orthodoxen Christen, deren Osterfest (außer in Finnland) immer eine Woche nach dem jüdischen Pessach stattzufinden hat.
Bei den Juden handelt sich bei dem 30. März 2018 um den 14. Tag des Monats Nisan im Jahre 5778, wie oben schon ausgeführt, und damit um den Pessach-Vorabend, auch Erev Pessach genannt, der mit Sonnenuntergang beginnt. Anschließend dauert Pessach eine ganze Woche vom 15. bis 22. Nisan. Nisan ist der siebte Monat im jüdischen Kalender und entspricht März/April im gregorianischen Kalender. Es ist das Fest der ungesäuerten Brote, das an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnert, und es hat bei den Juden auch heute noch eine wirklich große Bedeutung.
Es ist jedoch selten, dass diese sowohl für Juden als auch für Christen jeweils sehr bedeutsamen Feiertage genau zusammenfallen wie in diesem Jahr. - Und wie es übrigens ursprünglich immer der Fall gewesen war, denn die ersten Christen waren ausnahmslos Juden. Die frühe Kirche hat dann auf dem Konzil von Nicäa 325 das Osterfest vom jüdischen Pessach getrennt und auf den Sonntag nach Pessach verlegt. Während Pessach also oft an einem Wochentag beginnt, ist Ostern seit diesem Konzil immer an dem Sonntag, der dem Beginn des Pessachfestes folgt – und entsprechend Karfreitag zwei Tage früher.
Aber was bedeuten denn diese Feste im Frühling nun für uns, für den Einzelnen persönlich? Das kann jede/r eigentlich nur für sich selbst beantworten je nach dem, wo sie/er religiös steht, welcher Religion sie/er angehört – oder auch in völliger Distanzierung zu den herkömmlichen Religionen. Vielleicht aber auch als Anhänger/in einer der Naturreligionen, die ja wieder mehr im Kommen sind.
Ich möchte an dieser Stelle einen Ausschnitt aus einem privaten Buch von mir einfügen, aus dem ersichtlich werden kann, was Ostern für mich bedeutete - und größtenteils bis heute bedeutet. Dieses Buch habe ich in den Jahren 2010 bis 2012 geschrieben, und es bildet meine religiöse Auffassung zur damaligen Zeit ab. - Ich bin weiter auf einem (spirituellen) Weg, den ich noch nicht zu Ende gegangen bin. Das sei hier nur am Rande erwähnt.
Aus dem 26. und vorletzten Kapitel meines Buches:
Nun aber zurück zum Karfreitag. Für den Karfreitag gilt tatsächlich, des „gekreuzigten Sohnes Gottes“ zu gedenken, dessen „Leben und Sterben“ womöglich in eine Beziehung zum eigenen Leben und Sterben zu bringen und nicht zu schnell überzugehen zu den Gedanken an die Auferstehung eben dieses Gekreuzigten. Oft waren und sind Menschen gezwungen, Jahre oder Jahrzehnte ein „Karfreitagsleben“ zu führen ohne irgendeine Hoffnung auf Veränderung. Viele von ihnen wussten oder wissen gar nicht, dass es eine geistige, religöse Alternative zu ihrem ausgesetzten, trostlosen Leben gibt. Andere kannten oder kennen die Alternative, die in der Religion liegen könnte, bringen aber nicht die Energie auf, sich mit der Religion in einer für sie fruchtbaren Weise auseinanderzusetzen. Auch können ihre Lebensverhältnisse so ungünstig und schwierig sein, - auch leider hier und heute in Deutschland im Jahre 2011 -, dass sie keinen geeigneten Ort und keine geeigneten Menschen finden, der und die ihnen die Religion näherbringen und an dem und bei denen sie sich aufgehoben und angenommen fühlen können.
Bоскресение – Auferstehung heißt ein Roman von Lew N. Tolstoi, in dem es auch um diesen Themenkomplex geht. Für mich gehörte dieser Roman lange Zeit zu den besten jemals von mir gelesenen Büchern, und deswegen möchten meine Leserinnnen und Leser es mir gestatten, dass ich an dieser Stelle meines Buches dem Roman, obwohl er mit meiner Glaubensgeschichte in diesem Buch unmittelbar nichts zu tun hat, einen Platz einräume. – In Erinnerung ist mir geblieben, dass Tolstoi in seinem Buch einen Romanhelden geschaffen hatte, der, der Realität trotzend, (christlichen) Idealen nachhing oder Ideale auf Grund eines seine Reue herausfordernden Erlebnisses – neu im eigenen Leben zuließ und dann versuchte, diese mit der Realität in Einklang zu bringen. Der Leser bangt mit dem Helden, dem Fürsten Nechljudow, ob es ihm gelingen kann, seine idealistischen Haltungen in der Realität auch umzusetzen und dadurch in das jeweilige Leben anderer Menschen vielleicht ein Stück mehr Menschlichkeit hineinzutragen. Es wird ihm gelingen. Der Frau, die er in seiner Jugend geliebt und damals schmählich im Stich gelassen hatte, wird er später helfen; ja er wird sie nach Sibirien begleiten, nachdem sie unschuldig zu 15 Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt worden war. Dort will er sie sogar heiraten, aber sie, Katjuscha, hat auf dem Marsch in die Verbannung einen anderen Mann kennen gelernt, und sie sagt Nechljudow, dass sie bei diesem Mann bleiben möchte. Nechljudow erkennt, dass sie seinetwegen so handelt, dass sie ihn liebt und deshalb freigibt.
Ich habe jetzt, im April 2011, das letzte Kapitel des Romans „Auferstehung“ von Lew N. Tolstoi noch einmal gelesen, und ich finde es nach wie vor hervorragend, so hervorragend, dass ich es hier in der vollen Länge niederschreibe in der Hoffnung, auf diese Weise meinen Leserinnen und Lesern den Romanhelden von Lew N. Tolstoi, und damit ja eigentlich auch Lew N. Tolstoi selber mit dessen radikalem Zugang zum Christentum und zur christlichen Lehre näherbringen zu können. Natürlich sind wir in unseren heutigen, gesicherteren und menschlicheren Verhältnissen in Deutschland weit entfernt von den Gedanken und Gefühlen, die dem Romanhelden von Lew N. Tolstoi, dem Fürsten Nechljudow im alten Russland durch den Kopf gegangen waren, nachdem er Zwangsarbeiter nach Sibirien begleitet hatte, ihnen soweit er konnte geholfen hatte und der Ungeheuerlichkeiten ansichtig geworden war, die sich während des Transportes dorthin abgespielt hatten. Und dennoch enthalten diese Gedanken Wahrheiten, die bis heute gültig sind, die vielen Menschen jedoch in ihrem meistens recht bequemen, aber auch irgendwie aussichtslos erscheinenden Leben einfach nur abhanden gekommen sind. Diese Wahrheiten sind von dem Romanhelden Tolstois, dem Fürsten Nechljudow, dann so klar und einfach ausgesprochen worden. Meine Leserinnen und Leser sollen es selbst beurteilen:
XXIV. Nechljudow legte sich nicht schlafen, sondern ging lange in seinem Zimmer auf und nieder. Seine Angelegenheit mit Katjuscha war zu Ende, aber das Ende war nicht gut. Die Erinnerung daran hatte etwas Beschämendes. Doch nicht das allein quälte ihn jetzt, seine anderen Angelegenheiten waren nicht zu Ende, quälten ihn mehr als je und forderten seine tatkräftige Arbeit.
Vor seinem Geist standen die eingeschlossenen Hunderte und Tausende von Menschen, das Lachen der ganzen Schar über die Bibelworte, der Alte, den man für wahnsinnig hielt, der schöne Tote mit dem wachsbleichen Gesicht und der in Verbitterung gestorbene Krilzow. Und die Frage von ehedem, ob er selbst wahnsinnig sei oder die Leute, die sich für vernünftig hielten, trat erneut an ihn heran, und er fand keine Antwort darauf.
Ermüdet setzte er sich auf den Diwan vor die Lampe und schlug mechanisch das Evangelium auf, das ihm der Engländer geschenkt hatte.
„Darin soll ja die Lösung aller Fragen sein“, dachte er, öffnete das Testament und las, was er zufällig aufschlug: Matth. XVIII.
Er starrte auf das Licht der brennenden Lampe und versank in Gedanken. Ein lange nicht empfundenes Entzücken erfaßte seine Seele. Es war, als hätte er nach langen Qualen und Leiden plötzlich Ruhe und Freiheit gefunden.
Er schlief die ganze Nacht nicht, verstand er doch zum erstenmal die Worte, die er so oft gelesen und nicht beachtet hatte. Wie der Schwamm das Wasser, so sog er alles auf, was das Buch ihm offenbarte, was notwendig, wichtig und tröstlich war. Alles was er las schien ihm bekannt und bestätigte ihm, was er längst schon wußte, aber nicht ganz erfaßt und geglaubt hatte. Jetzt jedoch erfaßte und glaubte er.
Er glaubte vor allem daran, was aus der gesamten Lehre hervorging, und was mit besonderer Kraft und Klarheit in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberge des Herrn ausgedrückt ist. Die Arbeiter bildeten sich ein, daß der Garten, in den der Besitzer sie zur Arbeit geschickt hatte, ihr Eigentum sei, daß das alles für sie da sei und ihre Aufgabe nur darin bestehe, sich in diesem Garten ihres Lebens zu erfreuen. Sie vergaßen des Besitzers und töteten die, welche sie an ihn und an ihre Pflichten gegen ihn erinnerten.
„Darin ist alles erklärt“, dachte Nechljudow. „Ich habe, wie wir alle, in der törichten Zuversicht gelebt, daß wir selbst Herren unseres Lebens seien, daß es uns zu unserem Vergnügen gegeben ist. Das ist offenbar töricht, denn wenn wir hierher gesandt werden, geschieht es nach jemandes Willen und zu einem bestimmten Zweck. Wir aber glaubten, daß wir wie die Pilze geboren werden und nur zu unserem Vergnügen aufzuschießen brauchen, und es ist gewiß, daß es uns dafür schlecht gehen wird, ebenso schlecht wie den Arbeitern, welche den Willen des Herrn nicht erfüllten.“
Des Herrn Wille ist in der Lehre Christi enthalten. Wenn die Menschen diese Lehre erfüllen, so wird das Reich Gottes auf der Erde hergestellt und die Menschen werden den Segen empfangen.“
„Suchet das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles übrige wird euch zufallen.“
„Wir aber suchen das ‚Übrige’ und finden es nicht. Wir gründen nicht nur das Reich Gottes nicht, sondern wir zerstören es.“
„Das also ist es, worin der Zweck meines Lebens hesteht. Ein Leben ist zu Ende und das andere fängt an. Und ich glaubte, ich sei allein und verlassen und hätte nichts zu tun!“
Mit dieser Nacht begann für Nechljudow ein ganz neues Leben.
(Ende des Romans)
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Bilder:
Oben: Eigenes Foto vom Wallfahrtsort Moosbronn, Osterzeit 2010
Lew Nikolajewitsch Tolstoi, Porträt von Iwan Kramskoi (1873); entnommen von Wikipedia
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Im März 2021
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